Literatur von Gerhard Ruiss

Anläufe


Vor dem 20. Jahrhundert prägten parallele Entwicklungen eigener Landesliteraturen eine vielfältige Literaturlandschaft in den Sprachen der Donaumonarchie. Gleichzeitig fehlten unabhängige Medien und Verlage. Die wichtigsten Vertreter der deutschsprachigen Literatur in der Donaumonarchie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Nikolaus Lenau (1802–1850), Adalbert Stifter (1805–1868) oder Anastasius Grün (1808–1876) kamen aus dem Banat (Rumänien), aus Böhmen (der Tschechischen Republik) oder Laibach (Slowenien). Ihre Bücher wurden in Deutschland gedruckt und verlegt, da die Zensur eigenständige Buchveröffentlichungen und deren Verbreitung in Österreich weitestgehend einschränkte. Diese Voraussetzungen sowie die ständigen Auseinandersetzungen österreichischer Theaterautoren mit der Zensur des österreichischen Metternich-Regimes (1809–1848), das die Aufführungen der Stücke Grillparzers, Nestroys und anderer Theaterautoren nach Kräften behinderte, können neben dem Protest gegen die Zensur einer 1845 von rund 90 namhaften Buch- und Theaterautoren gemeinsam verfassten Petition als frühe selbstbewusste Gesten gegen politische Bevormundung und Instrumentalisierung gesehen werden. Ihnen voraus ging eine aus Gründen der Volksbildung unternommene aufsehenerregende Verlagsleistung: Thomas von Trattner (1717–1798), der größte Raubdrucker in der deutschsprachigen Verlagsgeschichte, druckte mit Zustimmung der regierenden Erzherzogin von Österreich, Kaiserin Maria Theresia (1717–1780) in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Wien die deutschen Klassiker in Raubdrucken nach. Sie erschienen in entschärften Versionen. Die Buch- und Medienzensur funktionierte durch die Konzessionspflicht von Verlagstätigkeiten sowie durch die Pflicht zur Vorlage vor dem Erscheinen und durch die Kontrolle bei der Einfuhr ohne Lücken. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein blieben daher schriftliche literarische Produkte in und aus Österreich eine Angelegenheit deutscher Verlage und hatte nur die dramatische Literatur eine Heimstatt in der zur „Theaterstadt“ hochstilisierten Residenzhauptstadt Wien.